Gegensätze ziehen sich an

Gegensätze ziehen sich an

Über Yin, Yang, In, Yo, Go und Ju.


Daniel Däuber - April 15, 2019

 

Wer oder was sind denn bitte "Yin, Yang, In, Yo, Go und Ju"?

 

Sind das sechs japanische Geschwister? So etwa wie Donald Ducks drei Neffen Tick, Trick und Track? Nein. In diesem Artikel sprechen wir mal über Gegensätze und Gemeinsamkeiten. (Es könnte also durchaus irgendwie um Geschwister gehen. Tut es aber nicht. Irgendwie aber auch doch.) Aber fangen wir von vorne an!

Ihr habt die meisten der sechs Begriffe sicher schon mal gehört. Wahrscheinlich aber nicht einzeln, sondern als Wortpaare. Die ersten vier sind: 

Yin Yang.

In Yo. 

Yin und Yang kennt ihr sicherlich bereits vom bekannten chinesischen Yin-Yang Symbol (Traditionelles Chinesisch: 陰陽; Vereinfachtes Chinesisch: 阴阳), mit der sich gegenüberstehenden schwarzen Fläche mit weißem Punkt und der weißen Fläche mit schwarzem Punkt. Hier geht es also schon mal um Gegensätze. Dazu aber später noch mehr.

In und Yo kennt man schon weniger. Nun, In-Yo oder Inyo ist einfach die japanische Übersetzung des chinesischen Yin-Yang und hat die gleiche Bedeutung. Das Zeichen wird in Japan aber oft anders dargestellt. Und obwohl die wenigsten von euch den Begriff wohl vorher schon mal gehört haben, hat wahrscheinlich die Hälfte von Euch das japanische In-Yo-Symbol schon mal gesehen. Wer es nicht kennt, sieht es hier angezeigt. Ein kleinerer, roter in einem größeren, weißen Kreis. Wer diesen Artikel auf der Webseite des Bujutsu Kan Neckar-Odenwald ließt, findet das In-Yo Symbol sicher dort auch irgendwo wieder ;-)

Bleibt noch die Frage nach dem Go und Ju, unserem letzen Wortpaar. Aber bevor wir diese auflösen, schauen wir uns diese Gegensätze noch mal etwas näher an und überlegen, was sie denn überhaupt mit Karate und anderen Kampfkünsten zu tun haben.
 

Gegensätze ziehen sich an

 

Sowohl das In-Yo als auch das Yin-Yang stehen für alle möglichen Gegensätze: weiblich und männlich, passiv und aktiv, nehmend und gebend, dunkel und hell, negativ und positiv. Bevor jetzt aber jemand denkt, dass bedeutet das Frauen negativ und Männer positiv sind… falsch gedacht! Man muss das neutral sehen. Hell ist nicht automatisch gut, und dunkel ist nicht automatisch schlecht. Versucht mal in einem zu hellen Zimmer zu schlafen, und Ihr wisst was ich meine.

Die alten Japaner und Chinesen verstanden, dass diese all diese Begriffe nicht nur Gegensätze sind, sondern auch zusammen gehören. Ohne Schwarz kann es kein Weiß geben und umgekehrt. Ohne Gut gibt es kein Böse, und ohne Oben kein Unten. Ohne Licht gibt es keinen Schatten, und ohne Frauen keine Männer. Fehlt jeweils eines von Beiden besteht ein Ungleichgewicht. Sind dagegen beide Gegensätze im selben Maß vorhanden, ist alles in Balance und in Harmonie. Wie auf den zwei Seiten einer alten Waage.

Die Farben und Linien im Yin-Yang Symbol versuchen diese Einheit und Balance auszudrücken. Die Beiden Farben sind nicht einfach in zwei gleiche Hälften eines Kreises aufgeteilt, sondern umschlingen sich. Sie beinhalten sogar jeweils ein Stückchen ihres jeweiligen Gegenteils. Und auch in den Chinesischen Schriftzeichen finden wir Hinweise auf Gegensätze und Zusammengehörigkeit. Das Linke Schriftzeichen (Yin; 陰) bedeutet “bewölkt, düster”, das rechte (Yang; 陽) bedeutet “hell”. In der traditionellen Schreibweise finden wir innerhalb des linken und rechten Zeichens noch mehr einzelne Zeichen, die ich für Euch farbig markiert habe. Das grüne Zeichen steht für “jetzt, Präsenz, anwesend sein”. Das blaue steht für Wolken. Gelb repräsentiert die “Sonne” und orange bedeutet “strahlend”. Die zwei Zeichen, die nicht farbig markiert sind bedeuten Hügel. Zusammen also etwa ”Die schattige and sonnige Seite eines Hügels”. Hell und Dunkel sind zwar Gegensätze, aber sie sind doch gemeinsam auf einem Hügel, gehören also auch untrennbar zusammen.

 

Braucht man Gegensätze in Kampfkünsten?

 

Sind solche Gegensätze denn gut? Bezogen auf eine Kampfkunst, wäre es denn nicht besser wenn man da nur starke und kraftvolle Stöße, Tritte und Abwehrtechniken hätten? Gewinnt man damit im Notfall einen Kampf nicht eher, als mit leichten, sanften Techniken? Hat man denn etwas davon, solche gegensätzliche Elemente in einer Kampfkunst zu vereinen? Hmm. Mal genauer nachdenken…

Es gibt viele Kampfkünste, die harte und sanfte Elemente miteinander verbinden. Kung Fu zum Beispiel. Besonders eindrucksvoll sieht man das in der Kung Fu StilRichtung “Wing Chun”. Dort gibt es sehr harte, kräftige und direkte Techniken, es wird aber auch das weiche und fließende und trotzdem sehr effektive Chi-Sao (Klebende Hände) geübt, bei dem man lernt, Bewegungen des Gegners zu erspüren und dessen Kraft umzulenken. Hart und weich. Auf japanisch: Go und Ju - unserem letzen Wortpaar.

Spätestens jetzt werden bei den meisten von Euch die Glocken läuten, denn Go und Ju kennt ihr ja alle von dem Karate-Stil, der in unserem Dojo gelehrt wird:

Goju-Ryu - Harter und weicher Stil.

Dabei steht “Go” (剛) für hart und “Ju” (柔) für weich. Harten und kraftvollen Techniken stehen dabei sanfte, fließende, runde Bewegungen gegenüber. Warum macht es Sinn, nicht nur harte sondern auch sanfte Techniken zu trainieren? Aus ganz vielen Gründen. Hier mal nur einige wenige (…vielleicht fallen Euch ja noch weitere ein?):

• Wenn man immer nur harte Techniken nutzt, kann sich ein Gegner leicht darauf einstellen. Kann man seine Strategie und Techniken dagegen variieren, ist man weniger berechenbar.

• Sanfte Bewegungen brauchen weniger Kraft und man ermüdet nicht so schnell. Ein Kampf wird nicht von dem entschieden, der die meiste Kraft hat, sondern durch den der seine Kräfte besser einteilt und länger durchhält.

• Die kurze Meditationsphase (jap.: mokuso; 黙想) zu Trainingsbeginn und -ende sind ein mentaler Gegensatz zum körperlichen Training. Anspannung und Entspannung gehören zusammen.

 

Sanftheit und Kraft in Harmonie

 

Eines meiner liebsten Beispiele dazu ist eines, das all unsere vermeintlich ungleichen “Geschwisterpaare” unter ein gemeinsames Dach bringt. Es ist von Bruce Lee, wie er einen geraden Fauststoß aus seinem “Stil” Jeet Kune Do beschreibt:

 

“Die Faust sollte locker gehalten und nach vorne gestoßen werden,

und erst beim Aufprall versteifen, was die Wirkung des Fauststoßes verstärkt.”

(“The straight lead should be held and thrown loosely and easily, tightening only

upon impact, adding to one's punch.”).

 

Sanftheit und Kraft - in einer einzigen Technik vereint. Und was sonst würde unser Goju-Ryu besser beschreiben als das?

 

Danke für diesen interessanten Artikel an Daniel Däuber!

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